Michael Heck
Tolstoi – Haus der Träumer
In der estländischen Stadt Tartu gibt es eine Straße, die nach dem berühmten russischen Schriftsteller Tolstoi benannt ist. Dort steht ein altes grünes Holzhaus, verwittert von kalten Wintern, mit einer Veranda und verzierten Fenstern. Generationen haben hier gewohnt und seit jeher ist es ein Refugium für junge Studenten, Kreative, Faulenzer und Eigenbrötler. In den vier Wohnungen haben bis zu 16 Menschen Platz, manchmal wohnen hier mehr, manchmal weniger. Kaum einer bleibt länger als ein paar Jahre, denn andere Träume wollen gelebt werden. Es gibt keine offiziellen Versammlungen oder Sitzungen. Gemeinschaft findet hier überall statt, im kalten Winter bei Zigarette und Wein vor dem Ofen, beim Essen in der Küche oder beim Holzhacken.
Nach einem halben Jahrhundert von Estlands Zugehörigkeit zur Sowjetunion und der Unabhängigkeit seit 1991 wächst nun eine junge Generation heran, die in einer Gesellschaft zwischen sowjetischem Erbe und westlicher Orientierung erwachsen wird. Doch im wirtschaftlich boomenden Estland mit einer beneidenswert geringen Staatsverschuldung bleiben viele junge Leute auf der Strecke: Die Löhne sind gering, die Ausbildungschancen schlecht. Deshalb zieht es viele junge Esten ins Ausland, eine ernste Gefahr für die künftige Entwicklung des baltischen Landes. In dem grünen Holzhaus in Tartu leben seine Bewohner für kurze Zeit eine Utopie. Mitten in der europäischen Krise entdecken sie, dass ihr Modell des Zusammenlebens zukunftsträchtig ist. In Zeiten, wo viele darüber nachdenken, dass Besitz nicht das Wesentliche ist und Teilen sowie die Kommunikation mit anderen immer wichtiger werden, ist das Leben hier eine Alternative.
Michael Heck, geboren 1986 in Heidelberg, begann nach dem Abitur und einem Lehrjahr in einer fotografischen Ausbildung, 2009 Fotojournalismus an der Hochschule Hannover zu studieren. Auf der Suche nach einer Bleibe während eines Auslandssemesters an der Tartu Kõrgem Kunstikool in Estland fand er sich eher zufällig zwischen jungen Studenten und alten Kachelöfen in einem von kalten Wintern verwitterten Holzhaus in Tartu wieder. Inspiriert von der Gemeinschaft der Hausbewohner begann er, deren Alltag in Bildern festzuhalten. Seit seinem Abschluss im Frühjahr 2014 arbeitet er als freier Fotograf für verschiedene Magazine und Zeitschriften inner- und außerhalb Deutschlands wie unter anderen Der Spiegel, Die Zeit, Geo, Geo International und Natur. Seine Arbeiten waren auf renommierten Fotofestivals vertreten, darunter 2014 dem Lumix Festival für jungen Fotojournalismus in Hannover, das Visa pour l'Image (Visa Off) in Perpignan und das Head On Photo Festival in Sydney. Sie erhielten außerdem den N-Ost Reportagepreis 2014 und den Preis des Kultusministeriums für kulturelle Vielfalt – Bayerisches Jugendfilmfestival 2012 – Wir und die Anderen.
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